Alles ist politisch, selbst Gummibären essen. So fomulierte ich in den 1980er Jahren meine Grundhaltung, mit Kunst nicht allein Form, Farbe, Ästhethik oder Personalstil zu vermitteln, sondern neben den visuellen Appetithappen auch Angebote zur politischen, sprich: zur kultur- und zeitgeistkritischen Ausdeutung zu machen. Einmischung erwünscht, meinte dazu Heinrich Böll in einer Schriftensammlung.
Im Beispiel hieße das: Viele kleine Taten werden politisch, wenn sie zu Massenphänomenen werden. Der populäre Fruchtgummibär war natürlich alltagsnah ausgewählt. Aber mit Hintergrund: Der hohe Konsum von Süßigkeiten jeder Art wird dann politisch – also gesellschaftlich als Faktor relevant –, wenn sich daraus Defizite in Sachen Gesundheit ergeben. Von der Zahngesundheit bis zum Übergewicht. Gleiches gilt beispielsweise für das Autofahren, den Flächenverbrauch beim Bau von Gewerbeparks oder Einfamilienhäusern, für die ökologischen Nebenkosten der Ferienflugreisenmanie oder die politischen Nebenkosten bei der Wahl verfassungsgefährdender Parteien in die Parlamente aller Ebenen der politischen Gewaltenteilung.
Extrem wichtig: Politisch werden heißt nicht verkrampft, verkopft, bärbeißig oder humorlos werden. Im Gegenteil. Und meine Kunstproduktion war und ist dann auch auf den Beweis dieses Gegenteils geradezu abonniert.
Der Begriff ist dem Französischen entlehnt, er kann von dem Verb „coller“ (kleben), aber auch aus dem giechischen „kόlla“ (Leim) abgeleitet werden. Für mich war die Collage der Einstieg in die assoziative bildnerische Arbeit, die kritisch-konfrontative Momente zeitigt und durch das Zusammenfügen von eigentlich Getrenntem eine neue, oft überraschende und eben nicht selten sarkastisch zuspitzende Botschaft ermöglicht. Die Collage gehört zu den flächigen Arbeiten und zu denen mit papiernen Ausgangsstoffen. Die Fortführung nimmt dann auch andere flächig zu verarbeitende Materialien hinzu, etwa Fotopapiere, Textilien, Kunststoffe, Metallisches. Die mischende Verarbeitung von aktuellem wie historischem Material, ebenso von neuen wie gebrauchten Materialien und nicht zuletzt dem Abfall wieder entrissenen Stoffen war für mich immer von größtem Entzücken. Die Revitalisierung der Teile aus dem Papierkorb etwa (Etiketten, Verpackungsteile, Reste von Abziehbildern und Kassenzetteln, Ausrisse von Logos, Cartoons oder Notationen etc.) in vollkommen neue Kontexte offeriert in einer Wegwerfgesellschaft immer große Chancen auf erkenntnisleitende Prozesse beim Betrachter. Da für mich die Collage auch in das Geschriebene hineinreicht – letztlich ist die literarische Collage eine von Walter Benjamin nobilitierte Technik – hat der Buchstabe als grafische Einheit, das Typographische überhaupt als visueller Markstein und Wiedererkennungsanker, sehr oft seinen Platz in meinen frühen Collage-Arbeiten der 1970er bis 1980er Jahre. Plakativ ideal ist, wenn der Wortfetzen mit dem Bildfetzen zu einer neuen Synthese und Bedeutung zusammenfindet.
Eine Montage ergänzt das Prinzip der Collage ins Dreidimensionale. In den 1990er Jahren habe ich diese Form der Verbindung von flächigen und plastischen Werkstoffen zum Personalstil entwickelt. Auch dabei habe ich allzu gerne Buchstaben, Fahnenworte, Slogan-Bruchstücke oder geflügelte Worte genutzt, um beim Betrachter ein schwieriges Thema offensiv auf den Weg der optischen Verarbeitung zu bringen. Ich kann sagen, dass die Inspiration für viele dieser Montage-Arbeiten ziemlich gleichgewichtig mal vom literarischen, mal vom plastisch-gestalterischen Denken ausgingen. Respektive vom Sinnen, Grübeln oder Herumspinnen. Jedenfalls: Die Phantasien zur Bildidee liefen von Beginn an zweigleisig.
Gelegentlich arbeite ich mit Fundstücken, die wie eine Montage auf flächigem Untergrund (meist einem Tableau aus Holz) präsentiert werden. Sie bleiben unbearbeitet, sind also als Ready-Made oder Objet trouvé einzuordnen, werden gleichzeitig jedoch für die Rezeption in einen neuen Kontext eingebettet durch eine keck-konnotative Betitelung.
Sehr interessant ist der kleine, aber doch entscheidene Übergang von der Montage zum Objekt. Das Objekt ist für mich und meine Arbeit weiter ein Artefakt, das aus der Zusammenstellung diverser Materialien entsteht, das jedoch über Schraub-, Klemm- oder Klebeverbindungen rein dreideimensional „gebaut“ und frei im Raum zu platzieren, zu zeigen und damit zur Wirkung zu bringen ist. Das Objekt ist insoweit die Vorstufe zur Plastik, die im Gegensatz zum Objekt jedoch zu allermeist aus einem stark dominanten Material hergestellt ist (Holz, Metall, Kunststoff, Stein). Das frei im Raum gezeigte Objekt kann zudem wunderbar mit den Mitteln der Collage weiter- oder zusatzverarbeitet sein. Die für mich sehr inspirierenden Arbeiten des tschechischen Dichters und Künstlers Jiří Kolář (1914-2002) sorgen etwa mit der Verklebung kleingerissener Papiere auf freistehenden Objekten für deren zweite Haut. Kolář bezeichnet das Resultat als Chiasmage-Objekt. Seine Ideen zur Konfrontage habe ich mit großer Begeisterung weiterentwickelt und mit dem Bezugswechselspiel Wort-Bild ergänzt.
Kolář war oft inhärent politisch. Versteckt, verkapselt, maskiert, über Ecken ins Symbolische gedreht. Der Anteil an Humor hat mich daran immer fasziniert. Sehr schön finde ich, dass sich Humor auch bei den viel plakativeren, nicht selten spektakulären Arbeiten des italienischen Künstlers Mauricio Cattelan wiederfindet. Seine kleinen und großen Unverschämtheiten sind häufig angesiedelt zwischen Objekt, Inszenierung und Installation und gehören mit ihrer Methode des Politischwerdens über schiere Ästhetik zu den findigsten Manifestationen der Kunst mit Botschaft.
Dieser Begriff bezeichnet in der bildenden Kunst seit den 1970er Jahren ein meist raumgreifendes, dabei orts- und situationsbezogenes Kunstwerk. Ich selbst kam zunächst vor allem mit ihrem konzeptionellen Vorläufer in Kontakt und sah zum Beispiel mit großem Vergnügen auf die vielen Details und Symboliken in den Raum-Inszenierungen des US-Amerikaners Edward Kienholz (1927-1994). Damals sprach man innerhalb der Konzeptkunst und der Kulturvermittlung noch vom Environment, einem Darstellungsformat, das viel mehr als die heutige Kunstform Installation einen beschreibend-narrativen Aspekt enthielt innerhalb der räumlichen Inszenierung. Kienholz lag mir als jungem Künstler sofort am Herzen aufgrund seiner Materialauswahl (im Grunde eine endlos erscheinende Sammlung passend ausgewählter Objet trouvés) und seiner satirischen Grundhaltung, die über die Auseinandersetzung mit banalen Alltagsgegenständen einerseits und schütteren Ikonen amerikanischer Selbstvergewisserung andererseits (patriotisch die Größe, Heldenhaftigkeit und Wichtigkeit der USA überhöhende Denkmäler und Gedenkorte etwa) den künstlerischen Ansatz mit einer klar gesellschafts-, konsum- und ideologiekritischen Stoßrichtung vereinte.
Eine Verbindung des Ansatzes von Kienholz mit denen der zeitgenössischen Installationskünstler – die viel stärker eine freifliegende Spiritualität in ihre Arbeiten investieren – ist meine persönliche Wahl. Meine Installation „Der Schreibtischtäter“ (1996) etwa macht diesen Weg klar: Mit dem konzeptionellen Bezug auf eine Invektive, einen Kampfbegriff, illustrieren die Bestandteile der Installation zunächst diesen Begriff, gehen dann jedoch interpretativ weit über eine reine Visualisierung hinaus und offerieren eine zivilisationsskeptisch-parabelhafte Darstellung der Bandbreite an systemisch-weltanschaulichen Verranntheiten menschlichen Geistes.